INTERVIEW

Ohne Kamera, keine Konzentration.
Paul-Julien Robert im Gespräch mit Claus Philipp über„MEINE KEINE FAMILIE“

Claus Philipp: Was bedeutet Öffentlichkeit für Sie vor dem Hintergrund, eine Geschichte wie diese öffentlich zu machen?

Paul-Julien Robert: Ich bin Schritt für Schritt vorgegangen und habe nicht gleich gesagt, dass es ein fertiger Film werden soll. Es ging mir anfangs darum, herauszufinden, was mit meinem juristischen Vater passiert ist. Ich wusste von dem Archiv am Friedrichshof und hab mir gedacht, dass es dort sicher Material von ihm gibt und plante, einen kurzen Film daraus zu machen, über ihn, diese Person als Hauptcharakter. Nach und nach wurde die Geschichte dann aber noch persönlicher, weil ich auch wusste, dass, wenn die Kommune im Film zum Thema wird, ich das nur subjektiv machen, nur meine Geschichte erzählen kann. Der Schritt, damit an eine breitere Öffentlichkeit zu gehen, ist für mich ein neues Abenteuer, ich weiß nicht, wie das alles wird...

Philipp: Inwiefern hatten Sie das Gefühl, dass Ihre Mutter Ihnen da wesentliche Partikel Ihrer eigenen Biografie vorenthielt?

Robert: Meine Mutter hat mir nie etwas vorenthalten, aber sie hat sich nie damit auseinander gesetzt. Das heißt, es gab da auch nach dem Selbstmord dieses Mannes unter den Kommunarden nie Gespräche, was damals passiert ist, was die Gründe waren. Als ich meine Mutter vor 5 Jahren danach fragte, hat sie mir genau die Theorie wiedergegeben, die Otto Mühl am Abend nach Christians Selbstmord aufgestellt hatte. Die Reflexion darüber hat also nie stattgefunden, es wurde einfach so hingenommen, wie vieles andere auch.

Philipp: Wie ging es Ihnen in den letzten Jahren mit der Rezeption der Kommune durch Kunstkritiker - als jemand, der als Kind dort gelebt hat, der gleichzeitig aber auch Dinge wie die Stilisierung des Otto Mühl in den Medien und die kulturhistorische Einschätzung des Aktionismus erlebt hat? War das für Sie wie ein Fremdtext, etwas, das eigentlich nichts mit Ihrer eigenen Geschichte zu tun hat?

Robert: Nein, es war eigentlich nie so, dass mich davon etwas emotional berührt hat, oder dass ich angefressen war auf bestimmte Kommentare oder Sichtweisen, weil das einfach wirklich jeder anders erlebt hat. Das ist einfach so und das muss man auch so anerkennen. Es gibt 500 Leute, die da gelebt haben und jeder hat das anders erfahren und jeder soll das so erzählen, wie er das empfunden hat. Dass Otto Mühl in der Kunst etwas bewegt hat und dass er dort eine Rolle spielt, ist nicht zu bezweifeln. Ich habe damit kein Problem.

Philipp: Großartig an Ihrem Film ist, dass es über die konkrete Situation eines Kindes, das auf dem Friedrichshof aufgewachsen ist, hinaus größere Metaphern gibt, die etwas vom Verhältnis von Kindern und Eltern erzählen. Wesentlich ist zum Beispiel, dass wir uns nicht aussuchen können, wer unsere Eltern sind und wofür sie sich entschieden haben als sie uns zur Welt brachten. Das Problem hat aber ein Sohn von Neonazis genauso wie ein Kind von super reichen Eltern. Was für ein Bild hat sich da für Sie auch im Dialog mit Ihrer Mutter von diesem ‚In-die-Welt-geworfen-Sein’ ergeben?

Robert: Ich hatte eigentlich von meiner Kindheit an das Gefühl, dass ich meiner Mutter nichts vorzuwerfen habe, dass sie das Beste gemacht hat und geglaubt hat, es sei gut. Bis ich mir dann irgendwann die Frage gestellt habe, ob sie mich mal gefragt hat, wie es mir geht. Wo ich leben will. Das hat sie nie gemacht. Und das ist schon etwas, was ich ihr jetzt vielleicht vorwerfen kann. Ich könnte sagen, sie hätte einfach eine andere Kommunikation zu mir finden müssen und schauen müssen, was die Bedürfnisse ihres Kindes sind. Für mich ist ja auch diese Kommune, dieses System, in dem die Leute da gelebt haben, ein Mikrokosmos wie jede andere Gesellschaftsform, und nach 20 Jahren aus der Distanz betrachtet gibt es ganz ganz viele Parallelen zu jeder anderen Gesellschaft.

Philipp: Würden Sie sagen, dass es die Gespräche, die Sie im Film zum Beispiel mit Ihrer Mutter führen, auch vorher schon gegeben hat, ohne Kamera, oder inwiefern war die Kamera, die Dokumentation, die Bannung auf Film ein wesentliches Enzym, um die Erzählungen in Gang zu bringen?

Robert: Die Kamera war auf jeden Fall das Werkzeug, um die Situation zu schaffen. Ohne Kamera wäre die Situation nicht dagewesen, meine Mutter so zu konfrontieren, bzw. diesen Dialog zu führen. Sonst fehlt die Konzentration. Diese Gespräche wären sonst nicht möglich gewesen.

Philipp: Es gibt diese sattsam bekannten Familiensituationen, wo Leute sagen: ‚Jetzt streite nicht mit mir in aller Öffentlichkeit’ oder ‚Diskutiert das nicht in aller Öffentlichkeit’ – durch das Wissen, dass dieser Film auch eine gewisse Öffentlichkeit generieren würde, was denken Sie, ist da in Ihrer Mutter vorgegangen?

Robert: Beim Dreh war sie glaub ich schon sehr in der Situation und bei mir und hat echt wissen wollen, was meine Gedanken sind, was meine Bedürfnisse sind und hat mir vertraut, dass ich sie nicht falsch darstelle.

Philipp: Hat sie in den Schnitt hinein einmal gesagt, dass einige Dinge doch besser unter Ihnen bleiben sollten?

Robert: Nein, aber ich habe mir oft während des Schnitts gedacht‚Puh, ist das nicht ein Schritt zu weit?’ Aber als sie den Film gesehen hat, meinte sie, dass sie sich da nicht einmischt und so auch mein Vater.

Philipp: Das Vertrauen Ihnen gegenüber vonseiten vieler Ex-Kommunarden scheint überhaupt sehr groß zu sein. Denken Sie, dass dies auch aus einem Gefühl entsteht, dass man jemandem gegenüber, der da als Kind mitmachen musste, ein schlechtes Gewissen hat?

Robert: Nein, das glaube ich nicht. Bei meinem Vater habe ich nie das Gefühl, dass das die Motivation war, bei meiner Mutter auch nicht, weil so für sie auch ein Prozess der Aufarbeitung begonnen hat.

Philipp: Gibt es so etwas wie ein letztes Gespräch mit Otto Mühl, an das Sie sich erinnern?

Robert: Als er vor einigen Jahren die MAK-Ausstellung hatte, habe ich ihn im Alt Wien getroffen. Ich wurde von der Kunstmanagerin zu Otto an den Tisch eingeladen und bin mit ihm ins Gespräch gekommen. Er wollte dann ein bisschen Propaganda machen, mir zeigen, wie die Kinder dort in Portugal malen, worauf ich meinte‚das interessiert mich jetzt eher wenig, ich möchte lieber von dir wissen, wie das damals mit den Mädchen war.’ Daraufhin ist er aufgestanden und gegangen. Das war das letzte Gespräch, was ich mit ihm hatte.

Philipp: Der Film behandelt ja das, was man normalerweise im primitiv vulgären medialen Kontext mit der Mühl-Kommune verbindet, Kindesmissbrauch und so weiter, nicht im plakativen Sinne und erzählt eher eine höhere Stufe der Manipulation - ohne es zu negieren. Wie fiel die Entscheidung, über die Kinder vom Friedrichshof zu erzählen, aber diese Dinge gar nicht so offensiv in den Vordergrund zu stellen?

Robert: Ich hatte das Glück, dass die Kommune zu Ende war, bevor ich in die Pubertät kam, das heisst, ich wurde nicht in die„freie Sexualität“ eingeführt. Jean jedoch, einer meiner Protagonisten, hat sich bereit erklärt, über seinen sexuellen Missbrauch zu reden. Es ist wohl deshalb kein zentrales Thema im Film geworden, weil ich es nicht selbst erlebt habe.

Philipp: Dieser Impuls, Mühl dann darauf anzusprechen – das klingt ja auch wie eine mögliche Filmszene, inklusive Abgang...

Robert: Ich hatte das gar nicht so angriffig gemeint. Nein, es war echte Neugierde von mir. Ich wollte wirklich wissen, was er mir dazu zu sagen hat. Und er wollte darauf nichts sagen.